Beckenbodentherapie: Entwicklungen und Perspektiven in der Physiotherapie

Ein Gespräch mit Susanne Riedl und Martina Tschöp von der BGÖ

Das Physiozentrum hat die Beckenbodengesellschaft Österreich (Öffnet in einem neuen Tab oder Fenster) (BGÖ) um eine Einschätzung gebeten: Welche Entwicklungen sind aktuell in der physiotherapeutischen Arbeit mit dem Beckenboden zu beobachten – und welche Themen werden in Zukunft wichtiger?

Mehr Spezialisierung und gesetzliche Klarheit

In den letzten Jahren hat die Auseinandersetzung mit dem Beckenboden auch in Österreich an fachlicher Tiefe gewonnen. Was früher eher nebenbei behandelt wurde, wird heute gezielter adressiert – nicht zuletzt durch gesetzliche Klarstellungen zur internen Palpation und Behandlung.

Die Nachfrage nach entsprechenden Fortbildungen ist deutlich gestiegen. Kurse zur vaginalen und rektalen Palpation waren ein früher Schritt, auf den mittlerweile zahlreiche weitere Angebote aufbauen. Diese manuellen Techniken sind weiterhin eine wichtige Grundlage für die Befundung und Behandlung in diesem Bereich.

Darüber hinaus sind Patient:innenedukation, aktive Therapie und Training zentrale Faktoren, um Patient:innen Eigenverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe mit auf den Weg zu geben.

Ultraschall: Neue Möglichkeiten für Befund und Therapie

Zusätzlich rückt der Einsatz von Echtzeitultraschall stärker in den Fokus. Vor allem Fortbildungen, die den Beckenboden und Beckenraum in der Befundung und Behandlung einbeziehen, stoßen auf großes Interesse. Auch sogenannte „okkulte Verletzungen“ – also nicht sichtbare oder schwer erfassbare Gewebeschäden – werden zunehmend thematisiert.

Die Verbindung zwischen Beckenboden und Rumpfstabilität bleibt ein zentrales Thema und ist Bestandteil vieler Therapieansätze.

Frauengesundheit und mehr: Therapie auch für Kinder und Männer

Ein weiterer Bereich, in dem sich einiges bewegt, ist die physiotherapeutische Begleitung rund um die Frauengesundheit. Themen wie Inkontinenz, Rückbildung oder Schmerzen im Beckenbereich werden häufiger und differenzierter behandelt als noch vor einigen Jahren.

Gleichzeitig gibt es auch bei Kindern und Männern Bedarf an spezialisierter Therapie – hier ist das Angebot derzeit allerdings noch begrenzt und ausbaubedürftig, meinen Martina Tschöp und Susanne Riedl.

Fallbeispiel: Enuresis bei einem Kind

Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie gezielte Maßnahmen wirken können:

Eine Kollegin berichtete von einem achtjährigen Jungen mit Enuresis, der schon viele Therapien hinter sich hatte. Sein Problem war die Blasenfüllmenge untertags. Mit Trink-, Harn- und Wahrnehmungsprotokollen konnte er seine Trink- und Blasenfüllmenge innerhalb von drei Wochen erhöhen und war weitere drei Wochen später – nach den Weihnachtsfeiertagen – endlich trocken.

Zusätzlich wurde an der Becken- und Hüftmobilität sowie an der Rumpfstabilität gearbeitet.

Beckenbodentherapie betrifft viele – Zahlen und Fakten

Wie groß der Bedarf an fundierter Beckenbodentherapie ist, zeigen auch aktuelle Zahlen:

  • Rund die Hälfte aller Frauen ab 30 Jahren ist von Uterus-Myomen betroffen.
  • Zu starke Menstruationsbeschwerden sind ein häufiger Grund für Krankenhausaufenthalte (137 Fälle pro 100.000 Einwohner:innen). Wie viele Frauen außerhalb des Krankenhauses betroffen sind, ist unbekannt.
  • Bis Endometriose diagnostiziert wird, dauert es im Schnitt sieben bis neun Jahre. Rund 10 Prozent der Frauen sind betroffen.
  • Im Alter von sieben Jahren leiden noch etwa 2–5 % der Kinder an Harninkontinenz tagsüber und 7–13 % an Enuresis. 0,5–2 % der Kinder mit nächtlicher Inkontinenz sind auch im Erwachsenenalter noch betroffen.

Quelle: Korasion 3/2020, Walden (PDF)

Fortbildung und Vernetzung als Basis für Qualität

Aus Sicht der Beckenbodengesellschaft Österreich ist die Qualität der Fortbildungen entscheidend. Ziel ist es, Therapeut:innen eine fundierte und praxisnahe Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen – damit sie ihre Patient:innen fachlich gut begleiten können.

Weiters ist es der BGÖ ein Anliegen, eine Interessensvertretung zu bieten und den fachlichen Austausch zu fördern. Patient:innen sollen früher zu einer adäquaten Therapie kommen. „Viele unserer Patient:innen haben einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie zu uns finden.“

Eine gute Gelegenheit zur Vernetzung bietet neben einer BGÖ-Mitgliedschaft auch das Beckenboden-Symposium 2026 – eine Veranstaltung der ARGE Beckenboden – am 13. und 14. November 2026 in Innsbruck.

Sie interessieren sich für eine Fortbildung im Bereich Beckenbodentherapie? Eine aktuelle Übersicht finden Sie hier.